Opfer der NS-„Euthanasie“-Verbrechen aus Siegen-Wittgenstein und der Umgang mit Menschen mit Behinderung heute (2012)
16. September 2021

Das war der etwas „sperrige“ Titel für die Sonderausstellung, die vom 28.10. bis 16.12.2012 im Aktiven Museum zu sehen war. Als Kooperationspartner hatte sich der AWO-Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe angeschlossen. Die Ausstellung wurde gefördert im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Verlegung des Stolpersteins für Lina Althaus aus Weidenau war ein entscheidender Ausgangspunkt dafür, dass sich Stefan Kummer, seinerzeit aktives Vereinsmitglied und zuletzt als Beisitzer im Vorstand kooptiert, mit der Thematik „Euthanasie“ befasste. Seine Forschungen mündeten in seine Magisterarbeit im Bereich „Neuere und Neueste Geschichte“ der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ein und wurden mit der Ausstellung einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Ein handschriftlicher Zettel aus dem Nachlass von Wilhelm Fries (1901-2000) enthielt fünf Namen von Opfern der Nationalsozialisten aus Weidenau. Vier von ihnen waren Opfer der „Euthanasie“-Morde: Lina Althaus, Theresia Dornseiffer, Bertha und Otto Hoppensack. Heinrich Reifenrath wurde aus politischen Gründen ermordet. Während Theresia Dornseiffer und Bertha Hoppensack bereits am 18. Juli 1941 im Rahmen der „Aktion T4“ in Hadamar durch Gas ermordet worden waren, wurde Lina Althaus am 6. August 1943 Opfer der dezentralen „Euthanasie“: überdosierte Medikamente, gezielte Mangelernährung oder unterlassene medizinische Versorgung. Als Todesursache wurde bei ihr „epileptischer Krampfanfall“ angegeben. Lina Althaus erkrankte im Alter von dreieinhalb Jahren an Kinderlähmung. Die Krankheit führte zu motorischer und sprachlicher Einschränkung, verbunden mit einem Anfallsleiden. Sie besuchte acht Jahre lang mit Erfolg die Volksschule. In der Behinderteneinrichtung Volmarstein erhielt sie eine Ausbildung in einem Handarbeitsfach (Stickerin). 1939 wurde Lina Althaus in die Provinzialheilanstalt Warstein aufgenommen. Wegen der Krampfanfälle wurde sie mit Elektroschocks behandelt. Im Juli 1943 wurde Lina Althaus nach Hadamar verlegt.

In der Arbeit „Die Opfer der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Verbrechen aus Siegen-Wittgenstein. Versuch einer Rekonstruktion ihrer Lebensgeschichten“ zeigte Stefan Kummer ferner die Schicksale von Otto Weber, Ludwig W. sowie der drei Brüder Stern (Richard, Albert und Siegfried), Brüder von Käthe Stern, auf. Die Recherchearbeit von Kummer wurde von Klaus Dietermann, Leiter des AMS, und Thomas Wolf, Archivar des Kreises Siegen-Wittgenstein, unterstützt. Im Rahmen der Veranstal-tungsreihe des „Siegener Forums“ folgten an drei Abenden im KrönchenCenter Vorträge zum Thema. Neben Stefan Kummer sprach Prof. Dr. Franz-Werner Kersting, Münster, über „NS-Krankenmord, ‚Nachkrieg‘ und Reformaufbruch. Die westdeutsche Anstaltspsychiatrie 1940-1970 (mit unbekanntem Filmdokument)“.

Im Jahr 2013 folgte die Ausstellung „Leben mit Behinderung in Siegen-Wittgenstein“ in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe, Koblenzer Straße. Die Schicksale von Lina Althaus und Rudolf Stähler als Opfer der Nationalsozialisten sowie das Leben von vier Menschen, die heute mit Behinderungen leben müssen, wurden aufgezeigt. Dazu verfassten Anna Hinkel, Master in „Angewandte Sprachwissenschaften“, und Stefan Kummer ein Begleitheft in Leichter Sprache.